Vom Neckar-Kanal zum Lebensraum für Natur und Mensch
Die Landesgartenschau bietet die einmalige Chance, den kanalisierten Neckar unterhalb der historischen Innenstadt auf gut zwei Kilometern Länge zu renaturieren. Dazu muss eine Pegel-Station verlegt und das Kraftwerk der ENRW abgebaut werden. Wir erklären Ihnen hier, warum wir uns nach sorgfältiger Abwägung aller Argumente in diesem besonderen Fall gegen die Wasserkraft entschieden haben.
Landesgartenschauen sind keine „Blumenschauen“. Den Zuschlag für die Fördergelder bekommt nur, wer damit nachhaltige Projekte in der Stadtentwicklung plant und umsetzt. Rottweil verfolgt daher ein ganzheitliches Landesgartenschau-Konzept in dem die Bedürfnisse von Mensch und Natur in Einklang gebracht werden. Besonders schwierig wird dies, wenn für sich betrachtet sinnvolle Ziele im Widerspruch zueinander stehen. Im Neckartal besteht ein solcher Zielkonflikt von Wasserkraft und Biodiversität. Allerdings richtet das vergleichsweise kleine Kraftwerk der ENRW einen verhältnismäßig großen ökologischen Schaden an. Ein wissenschaftliches Memorandum zu dieser Problematik können Sie hier lesen.
Die Ausgangslage: Kanal statt Fluss
Der Neckar unterhalb der historischen Innenstadt ist über weite Strecken stark begradigt und befestigt und in ein Betonkorsett gezwängt. Oberhalb des Wehrs wird der Neckar sogar zu einem stehenden Gewässer mit geringem Sauerstoffgehalt und Algenwachstum im Sommer. Für eine natürliche Entwicklung der Tier- und Pflanzenwelt in einer Flussaue sind das sehr schlechte Rahmenbedingungen. Als Naherholungsraum ist das Neckartal in seiner heutigen Gestalt für Menschen zudem weitgehend uninteressant.
Das Ziel: Lebensraum Neckarauenpark
Im Zuge der Landesgartenschau soll das Neckarufer und ein Teil des bisherigen Betriebsgelände der ENRW wieder naturnah gestaltet werden. Davon profitiert die Ökologie im Fluss und in den angrenzenden Grünflächen mit zusätzlichen Überflutungsbereichen. Zudem soll die Neckaraue mit attraktiven Wegen für Spaziergänger, Radfahrer und Kinderwägen sowie Plätzen für Rast, Sonnenbaden oder Picknick ausgestattet werden. Der neue Neckarauenpark wird damit Leben, Arbeiten und Wohnen in der Innenstadt wieder attraktiver machen und so auch das Herz von Rottweil, die historische Innenstadt, stärken.
Das Problem: Neckar-Pegel und Hochwasserschutz
Mitten im künftigen Gartenschau-Gelände steht der Pegel Nr. 1 des Neckars. Das Mess-Häuschen ist wichtig für den Hochwasserschutz am gesamten Oberlauf des Neckars und Teil eines landesweiten Frühwarnsystems. Bleibt der Pegel an Ort und Stelle, ist eine naturnahe Umgestaltung der Neckaraue nicht möglich und damit eines der wichtigsten Ziele der Landesgartenschau nicht erfüllbar! Außerdem ist heute schon problematisch, dass der Pegel bei großem Hochwasser über die Neckarwiesen umflossen werden kann und somit keine ausreichend guten Messwerte bietet. Das Regierungspräsidium Freiburg zeigte sich daher offen für die Idee, den Pegel zu verlegen.
Die Lösung: Pegel-Verlagerung und Abbau der Wasserkraft
Umfangreiche Untersuchungen von Stadt Rottweil und Land Baden-Württemberg zeigen: Der beste Platz für einen Pegel befindet sich oberhalb des Stauwehrs für das ENRW-Kraftwerk. Denn dort wird der Pegel auch im extremen Hochwasserfall genau messen können, da er durch den Talhang und den Bahndamm begrenzt wird. Somit wird der neue Pegel auch einen besseren Beitrag zum Hochwasserschutz und zum Schutz vor Starkregenereignissen leisten. Gleichzeitig könnte der Neckar bei einer Aufgabe der Wasserkraft auf zwei Kilometer Länge wieder naturnah gestaltet werden – das ist fast doppelt so viel wie ursprünglich geplant!
Für und Wider Abbau der Wasserkraft:
+ besserer Hochwasserschutz und mehr Überflutungsflächen
+ Stärkung Ökologie, bessere Gewässerqualität und mehr Artenvielfalt (Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie)
+ neuer naturnaher Naherholungsraum
+ attraktivere Innenstadt
– Verlust von regenerativer Energie für rund 100 Haushalte
ABER:
Die Leistung des Kraftwerks entspricht nur 0,2 Prozent (0,11 Megawatt) der aktuellen von der ENRW im Netz eingebundenen regenerativen Energieerzeugung (Sonne, Wind, Wasser und Biogas) von rund 51 Megawatt!
UND: Die ENRW schafft Ersatz und wird den Ablösebetrag für die Aufgabe der Wasserkraftnutzung vollumfänglich für die Schaffung von zusätzlicher regenerativer Energie verwenden.
Ein weiterer Ausbau regenerativer Energien wird von Stadt und ENRW aktiv betrieben. Es liegen für das Netzgebiet der ENRW aktuell Anfragen für weitere 80 Megawatt vor.